Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit

Fast lautlos schlichen Eod und Fae aus dem Zimmer wieder hinaus, den Gang entlang und konnten sich auch unbemerkt wieder in Richtung Eods offener Zelle bewegen. Entweder war es den Wachen, bis auf Berod, welcher ihnen sogar geholfen hat sich für das Schäferstündchen zu verkriechen, tatsächlich nicht aufgefallen oder aber, und diese Vermutung ist wahrscheinlicher, ihnen wollte es einfach nicht auffallen. Nicht, weil sie eigentlich auf Eoddrens Seite waren, sondern wohl eher auf Grund der Tatsache, dass sie selbst alle nur Männer sind und wenn man mit jemanden wie Faegryn verheiratet war, es wohl nur allzu gut verstehen und nachvollziehen konnten.

In der Zelle wieder angekommen, sah er wieder die Uniform und konnte sich ein langgezogenes Seufzen wohl nicht verkneifen. Nun also war sie da, die Stunde der Wahrheit und er musste sich tatsächlich fertig machen. Ob er wollte oder nicht, denn es blieb nicht mehr viel Zeit. Also ging er zu seinem Feldbett, setzte sich an den Rand und griff zur Uniform, jene die er so viele Jahre voller Stolz getragen hatte, und heute mit so vielen gemischten Gefühlen behaftet. Fae setzte sich neben ihn, schweigend und legte ihm lediglich eine Hand auf seinen Unterarm, als Zeichen, dass er nicht alleine war und es half. Mit einem kurzen dankbarem Nicken, hob er leicht den Mundwinkel und legte die Uniform auch schon wieder zur Seite.
Nach einer Katzenwäsche, aber besser als nichts, rasierte er sich noch, band die Haare frisch zusammen und schlüpfte zunächst in die Uniformhose, sowie streifte sich das Unterhemd über. Es kostete ihn etwas Überwindung, aber er zog sich dann auch die lederne Ausgangs- und Paradeuniform der Reiter über.

Erst jetzt stand auch Fae auf und half ihm die Schnallen der Rüstung enger zu ziehen und zu fixieren. Auch wenn es Eoddren war, der zur Verhandlung musste, konnte man wohl nicht erkennen, wer der Beiden zittrigere Hände bei all dem hatte und dadurch das Anlegen der Uniform ein wenig erschwerte. Eoddren gab es nach wenigen Handgriffen ohnehin auf, an den Riemen und Schnallen rumzufummeln, hatte Faegryn sowieso ihre Finger im Spiel und benötigte scheinbar nicht minder als er, die Ablenkung. Er legte den Kopf in den Nacken und atmete einige Male tiefer durch, die Augen geschlossen und ließ das kurzweilige Rucken und Ziehen von ihr, an seiner Uniform einfach über sich ergehen. In den Jahren die einstweilen vergangen waren, hatte er zwar einige Male ein wenig zugelegt an Gewicht, doch genauso auch wieder dieses verloren und Muskelmasse wieder aufgebaut. Vermutlich saß die Uniform damals etwas lockerer und bis zu einem gewissen Grad bequemer, doch schien es selbst jetzt nicht so, als wäre sie viel zu klein und fürchterlich unbequem.

Erst als Faegryn fertig war und ihm eine Hand an die Wange legte, öffnete er wieder die Augen und senkte den Kopf zu ihr.
«Fertig…», erklang ihre leise und sanfte Stimme, gefolgt von einem kurzen Nicken.
Da trat auch schon wieder Berod langsamer an die Zelle heran und deutete Eod, dass es wohl an der Zeit wäre, dass sie sich auf den Weg machen. Abermals atmete er nochmals tief durch, beugt sich zu Faegryn und küsst sie abschließend sanft, dabei nochmals umarmend und an sich drückend. Auch wenn es Beiden schwer fiel und vielleicht sogar die letzte Umarmung und der letzte Kuss gewesen sein könnte, so musste er sich dennoch von ihr lösen und Berod hinaus folgen. Sie erwiderte seine Umarmung und den
Kuss ebenso zärtlich und sanft, legt ihren Kopf dann an seine Schulter und er bettete wie üblich, den seinigen darauf. In dieser Haltung verharrten sie noch einige Augenblicke, ehe er seinen Kopf wieder anhob und flüstert: «Ich muss jetzt gehen….» Nicht wirklich fähig etwas zu sagen, sah sie ihm in die Augen und nickte kurz, während er ihr Gesicht in seine Hände nimmt, sie erneut küsst und fast tonlos anschließend die Worte formt: «Ich liebe dich.» Ebenso beinahe tonlos erwidert Fae:«Ich liebe dich auch.»

Die Mittagssonne blendete ihn und er kniff, beim Hinaustreten aus der Kaserne ein Auge zu, sich dabei am Vorplatz umsehend. Einige Bewohner und Soldaten, welche von dieser Verhandlung gehört hatten, versammelten sich auf dem Weg von der Kaserne zum Offiziershaus, welches für solche Fälle als Gerichtssaal herhalten musste. Auch Eoddrens Vater Endodren stand am Vorplatz, die Arme vor der Brust verschränkt und beinahe schon verbissen zu seinem Sohn und den Soldaten sehend, welche ihn rechts und links flankierten. Als er die Menschen sah, straffte er fast schon aus Trotz die Schultern und drückte zugleich die Brust etwas heraus. Nein, nicht überheblich, aber stolz und zuversichtlich vor dem Kommenden. Das es innerlich bei ihm ganz und gar nicht so aussah, musste er nicht auch noch allen Gaffern präsentieren. Sobald er, Berod vor ihm und die zwei flankierenden Soldaten aus der Türe getreten waren und auch schon den Weg einschlugen in Richtung Offizierhaus, trat auch Faegryn dahinter aus der Kaserne, die Lippen aufeinander gepresst und die Arme um den eigenen Oberkörper geschlungen, an den Oberarmen haltend, während sie langsam die Treppen hinab stieg und schlussendlich in die Arme von Endodren sackte. Der Anblick, welchen Eoddren noch im Augenwinkel, halb über die Schulter sehend, gelang, verpasste ihm wohl den endgültigen Stich und als er seinen Kopf wieder wegdrehte, die Augen schließen lässt.

Er wurde als Erstes in das Haus und einen größeren Raum geführt, welcher mit etlichen Kerzen erleuchtet war und das Feuer im Kamin eine angenehme Wärme verströmte. Im hinteren Drittel stand quer ein riesiger, massiver und schön verzierter Tisch im üblichen rohirrischen Stil. Dahinter ein gewaltiger Stuhl, mit Geweihen und Schilden aus Rohan bestückt, offensichtlich der Sitz des Marschalls, welcher der Anhörung vorsitzte. Rechts und links davon etwas kleinere Stühle, für Heermeister und Hauptmann. Auf der anderen Seite des Tisches, stand jeweils rechts und links eine einfache, kleine Sitzbank. Die zwei Parteien um die es ging, sollten während der Anhörung nicht zu bequem sitzen, wie es den Anschein hat. Für Zuhörer und Gäste war nicht viel Platz in dem Raum, doch konnten neben den Wachsoldaten, zumindest die engsten Angehörigen sich an der Wand aufstellen und der Anhörung beiwohnen.
Eoddren sah sich um und atmete erneut tiefer durch, als er zur Bank geführt wird und die zwei Soldaten selbst hier neben ihm blieben und sich neben ihm postierten. Nicht so recht wissend, ob er nun stehen bleiben soll oder sich setzen, wurde ihm diese Entscheidung sehr schnell abgenommen und eine Hand an seiner Schulter des Soldaten, drückte ihn auch schon auf die Bank. Es vergingen schweigende, quälend lange Minuten, ehe die Türe erneut geöffnet wurde und Berod abermals den Raum betrat und einen vielsagenden Blick zu Eod wirft, welcher über die Schulter zur Türe sieht und trocken schlucken lässt. Den dies kann nur bedeuten, dass er hier erstmalig, nach all den Jahren wieder Winawyn gegenüber stehen würde und so war es. Nur zwei Schritte hinter Berod schritt Winawyn in den Raum, fast schon majestätisch, mit einem dunkelgrünen, edlen Kleid, die Ränder in dunkelroten Samt eingefasst und die langen blonden gepflegten Haare hochgesteckt, wie sie es früher auch immer getan hatte. Man sah ihr zwar an, dass sie mittlerweile eine Frau mittleren Alters war, doch machte sie das nicht unattraktiver gegenüber zu früher. Ganz im Gegenteil, ihre schlanke Gestalt, ihr selbstgefälliges Auftreten und ihr Gesicht ließen sie beinahe schon wunderschön erscheinen und ihr Alter lieferte eine weitere Würze des Gesamtbildes, welches nun jedem Anwesenden klar werden lässt, wie sie es so einfach schaffen konnte in all den Jahren, soviele Männer um den Finger zu wickeln.
Sie sah sich kurz um und ihr Blick blieb sofort auf Eoddren haften, welcher mittlerweile langsam wieder aufgestanden war, aufrecht, den Rücken durchgestreckt und die Hände zu Fäusten geballt. Zielstrebig schritt sie auf ihn zu, neigte den Kopf leicht zur Seite und betrachtete ihn eingehend und musternd von oben bis unten, mit einem sehr feinen, dünnen und herablassendem Lächeln. Langsam hob sich ihre Hand, legte sich bei ihm auf die Wange und strich diese entlang nach unten, über den Hals, bis zur Brust, um dort liegen zu bleiben, als sie leise spricht.

«Es ist schön dich zu sehen, Eoddren. Und wie ich sehe, hast auch du nichts von deiner Anziehung verloren. Es ist ein Jammer, dass wir uns erst hier und heute wieder sehen, wo doch alles nur ein einziges großes Missverständnis ist.» Bei der Berührung ihrer Hand an seiner Wange, zuckt er mit dem Kopf zur Seite, als wolle er ihrer Berührung entweichen und zieht scharf die Luft ein, ehe er zwischen den Zähnen hervor presst: «Fass… mich … _nicht_ … an!» Nur langsam zog sie ihre Hand wieder zurück und sah ihn mit gehobenen Brauen an, doch selbst jetzt ist in ihrem Blick diese Hinterhältigkeit, diese herablassende Art und Weise zu sehen. Im selben Augenblick öffnete Berod erneut die Türe und ließ die Angehörigen, welche bereits vor der Türe warteten in den Raum, allen voran Faegryn, welche noch sah, wie Winawyn ihre Hand auf Eods Brust liegen hatte, sie wegzog und mit einem feinen Schmunzeln sich nun vorbeugte zu Eod um ihm etwas zuzuflüstern, bevor sich Winawyn umdrehte und ihrerseits Platz auf der Bank nahm. Der Rohirr stand nach diesen Worten wie angewurzelt stehen, tiefer und schneller atmend und ihr mit einem ungläubigen Blick nachsehend, doch nicht fähig etwas zu sagen, geschweige denn zu reagieren, ausser sich wieder auf die Bank fast fallen zu lassen.

Als der Raum gefüllt war, betraten auch der Marschall, der Heermeister und der Hauptmann, der Nachfolger von Winawyns Vater, den Raum und bezogen ihre Plätze am Tisch, gefolgt von einer formellen Begrüßung der Anwesenden. Es dauerte nicht lange und Winawyn, als auch Eoddren wurde vorgelesen, was ihnen zur Last gelegt wurde. Angefangen von der Ermordung eines Kameraden, bis hin zur Falschaussage und Dessertierung, musste Eoddren,  zum Teil mit geschlossenen Augen und den Kopf ein wenig in den Nacken gelegt, die Worte über sich hinweg spülen lassen. Auch Winawyn erduld ihre Verlesung, jedoch mit gehobenen Hauptes, einem starren und siegessicheren Blick auf das Komittee. Anschließend wurde Winawyn zuerst gebeten, ihre Version der Geschichte darzulegen und sie tat es. Mit allem erdenklichem Schauspiel, welches ihr in der Situation zur Verfügung stand. Nicht nur eine Krokodilsträne wurde währenddessen vergossen, bis sie schlussendlich mit ausgestreckter Hand auf Eoddren deutet und ihn als jenen Mörder hinstellte, wie sie es bereits Jahre zuvor getan hatte und ein Gemurmel, als auch Geraune bei einigen Anwesenden auslöste.
Er schnaubte nur stellenweise auf, presste die Kiefer aufeinander und sah sie während ihrer Erzählung mit leicht zusammen gekniffenen Augen an. Nicht nur einmal musste er sich beherrschen um nicht aus der Haut zu fahren und mitten in ihre Erzählung hinein zu platzen, doch er durfte es nicht. Jedes negative Verhalten könnte ihm zur Last gelegt werden. Als er nun um seine Version gebeten wurde, atmete er erneut tief durch, sammelte sich und mit erstaunlich ruhiger, sachlicher und tiefer Stimme begann er die Geschichte zu erzählen, von Anfang bis Ende. Er hatte keinerlei Notizen bei sich, er musste auch nicht wirklich zwischendurch überlegen oder hatte unschlüssige Momente in der Geschichte und dennoch wirkte sie nicht, als hätte er sie auswendig gelernt. Nein, es klang tatsächlich wie eine Geschichte eines traumatischen Erlebnisses aus der Vergangenheit, ohne Beschönigungen, ohne Übertreibungen und ohne jeglicher weiterer emotionaler Regung seinerseits. Während der ganzen Erzählung schweifte sein Blick kein einziges Mal zu Winawyn hinüber und auch nicht über die Schulter zu Faegryn oder seinem Vater, selbst als er endete, blieb sein Blick auf die Drei vor ihm gerichtet. Vermutlich hätte ihm ihre Reaktion nur selbst zu Übertreibungen verleitet, denn so sehr sie sich auch unter Kontrolle hatte, man konnte ihr ansehen, dass ihr Gesicht immer aschfahler wurde, je weiter er erzählte und ihr Blick hektisch zwischen Eod und dem Komittee hin und her sprang, Antworten sich überlegend und zurecht legend.

Doch soweit sollte es nicht kommen, denn plötzlich erhob ein Soldat von der gegenüberliegenden Wand seine Stimme.

«Glaubt diesem elenden Feigling kein Wort. Ich kannte Meldeor, er hätte so etwas nie getan. Seit wann ist es ein Verbrechen, dass er lediglich in diese Frau vernarrt war? Dieser Feigling… ER … er war eifersüchtig. ER konnte es nicht ertragen, dass jemand seiner Verlobten zu nahe kam. Meldeor stand ihm im Weg….. ihm sollte man genauso einen Dolch in die Brust rammen und irgendwo verscharren.»

Eoddren atmete langgezogen und mit einem Seufzen aus, die Schultern hängen lassend und auch der Kopf sackt etwas nach vor, während Berod alle Hände voll zu tun hatte, den aufkeimenden Tumult wieder zu beruhigen und für Ruhe zu sorgen, bis sich wieder eine bedrückende Stille über den Raum legte. Es war Eoddren der noch vor dem Marschall das Wort wieder erhob, wenn auch leiser und nach wie vor mit gesenktem Kopf.

«Ja. Ich war eifersüchtig und bin es auch noch heute,» dabei hob er wieder den Kopf und nun sah er endlich über die Schulter zu Faegryn, mit einem matten Schmunzeln, welche nur leicht den Kopf schüttelt und die Wort “Nein” formte.
«Aber nicht auf Meldeor und schon gar nicht auf irgendjemand anderen, der genauso dumm, wie ich es war, sich in Winawyn verliebte. Nein! Ich wollte ihn nicht aus dem Weg haben, ich wusste noch nicht einmal etwas davon. Blind vor Liebe und blind vor Vertrauen. Ich habe dieser Frau vertraut. Ich wollte sie zu meiner Frau haben, mit ihr mein restliches Leben teilen und ihr ein gutes Leben bieten. Wenn es DAS ist, was man mir vorwirft, dann ja, dann bekenne ich mich schuldig.»
Wohl wahr es die ruhige Art, dieser kurze Blick zu Faegryn und die Worte, welche Winawyn nun aufspringen lässt von ihrer Bank und anfing mit Worten um sich zu beißen, wie es ein ins Eck gedrängtes Tier getan hätte.
«Ein _gutes_ Leben? In Aldburg? Auf einem eigenen Hof? Eoddren, du Narr. Du hättest Marschall werden können und nicht _nur_ Heermeister und Ausbildner. WIR hätten uns einen Platz in Meduseld verdient. ICH, habe ihn mir verdient. All die Jahre, all die leeren Worte meines Vaters und von dir. Und wofür? Um als Mutter von einer Schar Kinder umringt zu sein und sich um ein paar Pferde zu kümmern? DU hättest es verdient, dass dieser Nichtsnutz von Meldeor schneller gewesen wäre. DU hast MIR einen Traum ruiniert. Nur DU alleine und nur DU alleine hättest da draußen sterben sollen.»

Mit jedem Satz ging sie weiter auf Eoddren zu, welcher ebenso aufgesprungen ist, als sie es getan hatte und die Luft scharf einzog. Umso lauter sie wurde, desto ruhiger und fast schon entspannter schien Eod zu werden in seiner Körperhaltung, bis sie vor ihm stand und beim Verklingen der letzten Worte ihre Hand hob und ihm bereits eine Ohrfeige verpassen wollte. Doch ehe ihre Hand, seine Wange berühren konnte, packte er ihr Handgelenk und fasste die Hand, gefolgt von einem schweigenden, kurzen Kopfschütteln. Erst jetzt schien ihr bewusst zu werden, was sie gerade von sich gegeben hatte und was dies bedeutete. Das Komittee, Berod, als auch andere Soldaten waren mittlerweile ebenso aufgesprungen, doch traute sich niemand so recht in diesem Moment einzugreifen. Erst als sich Winawyn mit vor Schreck geweiteten Augen umsah und all diese anklagenden Blicke auf ihr ruhten, wanderte langsam ein Mundwinkel von Eod nach oben und er hob eine Braue, sich nun vorbeugend und ihr zuflüsternd.

«Ich fürchte Winawyn, _das_ hattest du nicht geplant……»