Auf den Fersen

Seit Faegryn ihm Hals über Kopf die Nachricht überbrachte, dass angeblich ein Suchtrupp aus Rohan los geschickt wurde, drehten sich die Gedanken des Eorlingas hauptsächlich um die Vergangenheit. Was vor mittlerweile mehr als zwanzig Jahren passiert ist, wie es dazu kam und welche Rolle er im Laufe der Geschichte eingenommen hatte. Der Waldläufer Rendomir hatte mal wieder nur eine beiläufige Information fallen gelassen und dachte noch nicht einmal daran, Faegryn mehr zu sagen, als jenes, welches er von sich gab.

«Er wurde vor ein Militärgericht zitiert, natürlich suchen sie nach ihm, jetzt wo sie nach seiner Antwort wissen, dass er noch lebt. Auch er muss seinen größten Gegner in die Augen sehen.»

Bereits im Sommer erhielt er einen Brief aus Rohan von einem alten “Freund” und seinem Ausbildner, dass er doch noch mal seine Version der Geschichte kund tun soll, da sich das Blatt gewendet hat und es so aussieht, als ob Eoddrens damalige Verlobte den Bogen überspannt hätte. Es dauerte eine geraume Weile, bis er es übers Herz brachte all dies nochmals zu durchleben, nieder zuschreiben, aber er tat es und er schickte auch den Brief ab, ohne Informationen darüber, wo genau er sich befindet. Lediglich bekannt ist, dass er lebt und sich im Westen – weitab der Heimat – befindet.

Pünktlich zu Beginn der Wintermonate erreichte ihm auch schon die Zitierung vor das Militärgericht. Denn er sei ein wichtiger Zeuge und zugleich auch einziger Überlebender, neben ihr, welcher noch davon berichten könnte. Zusätzlich zu der Tatsache, dass er damals für schuldig gesprochen wurde, unehrenhaft aus dem Dienst entlassen und den Namen seiner Familie entehrte. Es musste nicht gesagt werden, doch es war klar, dass er niemals mehr einer ehrenhaften Soldatenlaufbahn in Rohan nachgehen könnte. All dies und der innere Widerwillen sein restliches Leben als Pferdezüchter sein Dasein zu fristen, brachten ihn in jungen Jahren dazu, sein Land, seine Familie und sein bisheriges Leben hinter sich zu lassen. Er wollte damit abschließen, so schwer es ihm auch fiel, er hatte es getan. Bis heute….

Denn nun sollte er wieder zurück, sollte sich seiner Vergangenheit, dieser Angst und Panik, erneut zu versagen, seine Familie zu enttäuschen, stellen. Egal was kommen mag, er müsste die damaligen Erlebnisse erneut darlegen und darauf hoffen, dass bei der erneuten Aufrollung dessen er auch dieses Mal mit einem blauen Auge davon kommt. Allerdings war dieser Wunsch, lediglich ein Strohhalm, denn er wusste nur zu genau, sollte er ein falsches Wort sagen, eine Tatsache nicht mehr genau wissen oder belegen können, so würde er die nächste Zeit hinter Gitter verbringen oder gar auf ewig aus seiner Heimat verbannt werden, ohne Möglichkeit jemals wieder seine Familie zu sehen. Ob er nun wollte oder nicht…

Nun suchten sie nach ihm, nicht mehr Willens länger darauf zu warten, bis er nach Hause kommt, den Weg einschlägt. Sie würden ihn suchen und über kurz oder lang finden. Selbst wenn er im Laufe der Jahre gelernt hat, ohne großem Aufsehen zu verschwinden, so hat er dennoch zulange in Bree und Umland gelebt und sein Unwesen getrieben, als das dort nicht der Name bekannt vorkommen würde. Vermutlich bereits in den Einsamen Landen, der Feste Guruth, wäre der Name Eoddren Baragur dem Einen oder Anderen ein Begriff. Wo und wie sollte er also weg? Und da waren da noch Faegryn, seine Tochter Lysell, Reonweard sein langjähriger Freund, dem er einiges verdankte. Er wollte und konnte ihnen nicht so einfach den Rücken zudrehen und sie im Stich lassen, nur um mal wieder davon zu laufen.

 

 

Eoddren streifte den ganzen Tag durch Bree, das direkte Umland der Stadt und traf sich mit dem einen oder anderen Waldläufer in greifbarer Reichweite, nur um herauszufinden wo sich Rendomir befinden könnte. Nichts ahnend, dass ihm ein Schatten bereits seit Brees Westtor auf den Fersen ist. Doch niemand hatte ihn gesehen oder war gewillt ihm zu sagen, wo er ihn vermutlich finden konnte. Denn eines behielt der Sprecher des Waldläufertrupps für sich, den Zeitpunkt um sich zu zeigen und wieder zu verschwinden und dies konnte er mit grausamer Qualität. Es blieb dem Rohirr nichts anderes über, als ziemlich entnervt, müde und enttäuscht für diesen Tag aufzugeben. Er musste darauf hoffen, dass ihn Rendomir mal wieder aufsuchen würde, wenn er der Meinung wäre, noch etwas sagen zu müssen.

Es verging der restliche Abend – nichts. Es verging eine unruhige Nacht für Eoddren – nichts. Der Vormittag zog langsam und quälend ins Land – nichts. Er versuchte sich mit Arbeit abzulenken, warf den gerade erst ausgearbeiteten Dienstplan der nächsten Wochen zum vierten Mal über den Haufen und erarbeitete eine weitere Version, welche im Endeffekt nicht wesentlich anders als jene zuvor aussah, doch es beschäftigte ihn. Mittags warf er auch dieses Vorhaben entnervt von sich und verließ die Arbeitsstube. Er brauchte frische Luft, etwas zum Abreagieren, andere Gedanken und dabei konnte ihn gerade noch nicht einmal seine, tatsächlich, große Liebe helfen. Ja, er musste es sich lange Zeit selbst zugestehen, aber Faegryn war es, die es nach so endlich vielen Jahren geschafft hat, hinter seine Maske zu sehen, den Wall zu überwinden und nun seine Frau wurde – wenn auch unerwartet für alle Beteiligten.

So saß er am Ufer des Flusses, welcher durch die Siedlung floss, etwas abseits der Grundstücke und warf kleinere Kieselsteine in das Gewässer, als er leise Schritte hinter sich hörte. Da stand er, Rendomir, jener auf den er die ganze Zeit gewartet hatte. Er weitete die Augen, als er ihn näher kommen sah, sprang sofort auf, besann sich dann jedoch daran, dass ihn bedrängen mit Fragen, nicht wirklich weiter half. Auch wenn er sich in seiner Gegenwart stets wie ein Lehrjunge fühlte, welcher noch grün hinter den Ohren war und sich seinen Respekt vor dem Meister erst erarbeiten musste. Rendomir war nun auch nicht jemand, welcher mit Zuversicht und Komplimenten um sich warf und ihn dessen Ansicht berichtigen würde.
Auch wenn sie beide dem Westron, dem Rohirrisch, als auch dem Sindar mächtig waren, wählte Rendomir regelmäßig in seiner Gegenwart die Sprache der Elben, vorallem dann, wenn es unter Umständen noch andere lauschende Ohren geben könnte.

«Schön dich zu sehen, Baragur. Wie ich hörte, hast du mich gesucht? Nun, hier bin ich. Um was geht es?»

«Um was es geht? Ihr werft mit Informationen um euch… Informationen mich betreffend.. werft sie Fae hin, als wäre es Klatsch und Tratsch aus dem Bree-er Tagesblatt… Was heißt ein Suchtrupp ist unterwegs nach mir? Seit wann? Wo bereits? Woher wissen sie wo sie suchen müssen? Wieviel Zeit bleibt mir… uns? Was..~», doch da seufzt er nur noch auf, genau wissend, dass er, wenn überhaupt nur einen Bruchteil der Fragen beantwortet bekommen wird.

«Langsam Baragur. Ich werfe mit Informationen nicht um mich. Ich gebe sie gezielt weiter, dann wenn ich es für richtig erachte. Ich weiß nicht seit wann dieser unterwegs ist, es dürfte jedoch erst seit Kurzem sein, denn es hieß in der Nachricht, dass sie erst die Pforten passierten. Niemand sagte, dass sie wissen, wo sie suchen müssen. Doch sie sind unterwegs und sie sind Willens dich zu finden, Baragur. Wenn du nicht vor hast alles und jeden wissen zu lassen, dass du noch lebst und wo man dich findet, dann würde ich dafür sorgen, dass du dich baldigst in Bewegung setzt.»

«Pforten…. Das heißt… sie könnten jetzt bereits irgendwo zwischen Dunland und den Trollhöhen sein… Wieso… Ich meine, was soll all das? Warum jetzt? Ist es mir nicht einmal vergönnt ein paar Monate in Ruhe zu leben? Nein.. immer ist etwas… Zuerst Angmar, Forochel, Schragen, dann Annuminas, jetzt die Nordhöhen… ich… ich will doch auch nur ab und an _normal_ leben… »

Der Waldläufer hebt die Brauen, die Arme, wie üblich für ihn, sind verschränkt am Rücken, während er den gestikulierenden und verzweifelten Ausführungen Eoddrens folgt.
«Baragur, Annuminas war nicht unser Werk, dass weißt du. Es war deine Entscheidung diesen Posten anzunehmen, wenn es uns auch zugleich mit Stolz erfüllt und wir wissen, dass mit Theonrid ein sehr fähiger, aber gefährlicher zweiter Marschall in der Feste sitzt~»

Da fällt ihm der Rohirr auch schon ins Wort und der tiefliegende Groll scheint schön langsam nach oben zu steigen.
«MEINE Entscheidung? Als hätte ich eine großartige Wahl gehabt… Tod oder Marschall… schöne Entscheidung die ich treffen konnte… und was heißt hier gefährlich… Theo hat es unter Kontrolle… er ist neunzehn… und es ist bisher noch gar nichts passiert, nicht einmal in der Nähe der Palanti… also was soll das jetzt?»

Beschwichtigend hebt der Waldläufer die Hand, «Baragur! Beruhige dich! Konzentriere dich auf die Dinge die vor dir liegen und beschwere deine Schultern nicht mit der Vergangenheit. Auch wenn du dich einem Teil nun stellen musst. Genauso wie es deine Frau tun muss. Ihr müsst füreinander da sein, euch gegenseitig den Rücken stärken, egal was kommen mag.»

«Jaja… das sagte sie mir bereits…. aber darf ich erfahren, warum ihr das Fae erzählt und nicht gleich zu mir gekommen seid? Ihr wisst gut genug, welche Sorgen sie sich sofort macht, wenn ihr mit solchen Informationen ankommt… Und, wenn wir schon beim Thema sind… warum habt sie überhaupt in die Nordhöhen geschickt? Zugelassen, dass sie und Reon … alleine … ihr wusstet was passieren hätte können…»

«Natürlich wusste ich das Baragur. Doch war es sinnvoller, sie nach dir suchen zu lassen, als wenn ich weitere Waldläufer hinein schicke und den gesamten Auftrag noch mehr gefährde, als du es nicht ohnehin schon getan hast. Du hast dich wortwörtlich mit dem Feuer gespielt, Baragur. Sei froh, dass du dieses Mal keine Narben davon getragen hast. Es ist, wie es ist und es war gut so. Oder hattest du dich wohl gefühlt unter den Angmarin? Hat es dir Spaß gemacht die kleineren Bauernhöfe zu überfallen? Die Bewohner deinen _Untergebenen_ zu überlassen? Mit dem Wissen, was passieren würde? Du hast einen Angriffsplan eingeleitet, welcher Esteldin in die Zange nehmen sollte. Ich weiß darüber Bescheid, Baragur. Also stelle nicht meine Vorgehensweise in Frage! »

Mit diesen Worten lässt er einen innerlich kochenden Eoddren am Ufer stehen, wendet sich um und geht wieder seiner Wege. Genauso wie er, wie immer gekommen ist, genauso verschwindet er auch wieder. Lautlos.