Männergespür

Am Markt verging der halbe Tag fast schon wie im Flug und Endodren, als auch Faegryn schafften es zwar sich so gut es ging abzulenken, doch nicht vollständig. Immer wieder gleitete der Blick von einen der Beiden in Richtung Kaserne und die Gedanken zu Eoddren, welcher dort seit Tagen nun schon sein Dasein fristet und in Gewahrsam genommen wurde. Sie vermieden es Beide das Thema direkt anzusprechen und auch, wenn der Blick einer der Beiden in Richtung Kaserne ging, wurde er auch wieder sehr schnell abgewendet, als wolle man sich nicht dabei ertappen lassen.

Erst als die Sonne bereits den frühen Abend eingeläutet hatte, waren die Zwei wieder zurück und Endodren, Eods Vater, fasste sich ein Herz um seinem Sohn endlich einen Besuch abzustatten, alleine. Auch wenn es ihm nicht leicht fiel, Faegryn zu bitten, zu bleiben, so wollte er doch das erste Treffen mit seinem Sohn in dieser Situation unter vier Augen erledigen. Es war weniger auf Grund der Tatsache, dass er zu seinem Sohn bis vor wenigen Wochen, über zwanzig Jahre keinen Kontakt hatte, sondern, dass er ihn in solch einer Situation sehen musste und nicht wirklich mehr helfen konnte, als er nicht ohnehin schon getan hatte. In den letzten Jahren hatte er es sich als persönliches Ziel gesetzt, so lange die Heermeister, Kommandanten, Marschälle und auch den Than aus Aldburg davon zu überzeugen, dass mit Eoddren damals ein falsches Spiel gespielt wurde, bis sie zumindest sich die Geschichte erneut anhörten und auch Eoddrens damalige Verlobte und erste große Liebe Winawyn, genauer unter die Lupe nahmen. Es kostete ihn beinahe fünfzehn Jahre, aber schließlich und endlich schaffte er es, allen voran auch deswegen, weil Wina unvorsichtig wurde und sich nun mittlerweile dreifache Witwe nennen durfte.

Endodren schritt langsam die Stufen zur Kaserne hinauf und nickte den Wachen nur knapp zu, seinen Dolch abgebend, als auch jene einen Blick in den Beutel werfen zu lassen, in welchem sich lediglich Brot, etwas Käse und zwei, drei Äpfel befanden.

Der Rohirr saß wiedereinmal auf seinem Bett, den Rücken an der hinteren Zellenwand angelehnt, die Beine vor sich aufgestellt, auf den Knien die Handgelenke aufgelegt und mit geschlossenen Augen den Blick gen Decke gerichtet, als sich die lautere Stimme eines Wächters erhebt.

«Hey Eoddren. Schwing deinen Hintern auf. Ich hab hier etwas für dich.»
«Ich hab dir doch schon gesagt, dass ihr euch das, was ihr Essen nennt, behalten könnt….», erklang nur die übliche tiefe, brummelige und etwas matte Stimme Eods aus dem hinteren Ende der Zelle, ohne hierbei auch nur den Blick zu senken und ließ den Wächter mit einem Schulterzucken wieder abziehen.
«Dann soll ich dir also nicht das gute Brot deiner Mutter hier lassen?», konterte Endodren mit einem matten Schmunzeln und musterte seinen Sohn eingehend dabei, den Beutel durch die Gitterstäbe hindurch auf den Boden schupfend.

Erst jetzt öffnete Eod die Augen schlagartig, als er die Stimme seines Vaters vernahm und setzte sich dabei mit einem Ruck im Bett aufrecht hin. Da es in der unteren Ebene, in welchem sich die Zellen befanden, an Fenstern mangelte und mittlerweile auch schon wieder der Frühling in Rohan einzog, zog es Eod vor, das Wams gleich gänzlich wegzulassen, wüsste er ohnehin keinen Grund warum er sich zwischen Tag und Nacht um-, geschweige denn anziehen sollte.

«Pap’s~ …. Was tust du hier? Ist~ ist etwas mit Fae? Geht es ihr gut?» Von der Idee fast schon besessen, es muss etwas passiert sein, weswegen sein Vater den Weg nach Edoras angetreten hat, sprang er vom Feldbett und stand mit wenigen Schritten am Gitter. Atmete jedoch sichtlich erleichtert auch schon wieder aus, als dieser nur den Kopf schüttelt, fädelt seine Arme zwischen die Stäbe auf der mittleren Quersträbe hindurch und lehnt die Stirn gegen die Längsstäbe. Auch sein Vater lehnt die Stirn gegen die Stäbe und greift hindurch in den Nacken seines Sohnes, diesen greifend.

«Es ist alles in Ordnung. Sie macht sich natürlich Sorgen, aber ihr geht es gut und sie wird nachher noch hierher kommen. Doch ich wollte jetzt erstmal alleine zu dir. Und nun, bitte, sei ehrlich zu mir. Ich weiß, ich war vielleicht nicht der Vater, den du dir gewünscht hast, aber ich habe stets immer viel von dir gehalten und war stolz auf dich. Egal was du tatest. Ich musste mir nie wirklich Sorgen um dich machen, aber jetzt~ Jetzt mache ich sie mir. Also bitte, sei ehrlich und sag mir, hast du in den letzten Tagen überhaupt etwas gegessen? Wie geht es dir wirklich? Nicht, wie es dir geht gegenüber Faegryn, sondern _wirklich_.»

Eoddren hob gequält den Blick und linste zu seinem Vater, während der Worte, gefolgt von einem trockenen Schlucken und einem anschließendem senken des Blickes. Die Hand des Vaters im Nacken unterstrich noch die Wahrheit der Worte und bewegte ihn dazu seine eigene Hand auf Endos Unterarm zu legen und erst nach einigen Augenblicken des Schweigens, leise, stockend und tatsächlich mit sich kämpfend zu antworten.

«Ich…. Ich weiß es nicht… es… ich kann mich jetzt an alles wieder erinnern, dank Atertir, einem Freund.. aber, … ich weiß nicht ob es wirklich etwas bringt. Sie… sie hat soviele Jahre hier und ich… ich habe nichts anderes gemacht als davon zu laufen. Mich nie für meinen Standpunkt, meine Geschichte eingesetzt… und jetzt? Wer.. wer sollte mir noch nach zwanzig Jahren glauben? Ich… ich hab einfach Angst… Angst um Fae, um Lysell… all das, was ich mir so mühsam in den letzten Jahren aufgebaut habe… wieder… wieder wegen ihr zu verlieren… »
«Ich weiß. Das mit deinem Freund, den Elb. Faegryn hat mir davon erzählt und auch, dass du seit Tagen kaum etwas isst und auch kaum etwas schläfst. Eoddren, sei kein Idiot. Du hast dir nichts zu Schulden kommen lassen, ausser, dass du vielleicht zu früh aufgegeben hast. Aber du hast den Mut und den Stolz dich _jetzt_, nach zwanzig Jahren erneut all dem zu stellen. Und du hast Faegryn, die hinter dir steht, deine Tochter, die dich mit Sicherheit anhimmelt und du hast uns, deine Eltern. Niemand wird dich im Stich lassen, egal wie es ausgeht. Denk immer daran. Und jetzt tu mir, Faegryn und vorallem dir selbst einen Gefallen und hör auf, dich in Selbstmitleid zu baden. Sieht so ein gestandener Mann aus dem Hause Voronwe aus?»

Abermals hebt Eoddren den Blick und sieht seinem Vater in die Augen, dabei nun leicht den Kopf schüttelnd und sich ein vages Schmunzeln abringend, wie es im selben Moment auch sein Vater getan hat.
Die Zwei lösten sich anschließend wieder voneinander und jeder setzte sich seitlich an das Gitter, sodass die Schultern sich annähernd berührten und begannen über die verschiedensten Dinge zu erzählen. Es wirkte fast so, als würden sich die Zwei erneut versuchen kennen zu lernen und bis zu einem gewissen Grad gelang es ihnen wohl auch. Wenn auch Vater und Sohn augenscheinlich bei so manchen Geschichten das eine oder andere Gefühl oder Gedanken ausließen und trotz allem noch eine kleine Distanz herrschte. Doch sie verschmälerte sich, weit mehr, als sie noch in Aldburg bestanden hatte. Endodren erzählte seinem Sohn von der kurzen Zeit, als Eaddren noch zu Hause war, bevor sie sich auf die Suche nach ihrem Bruder machte und auch über die verschiedensten Ereignisse in Aldburg. Die Einen witzig, die Anderen traurig und manche auch einfach nur informativ. Umgekehrt erzählte Eoddren seinem Vater von den Erlebnissen im Breeland, dass er schon an etlichen Ecken und Enden Ardas gewesen ist und wie er Faegryn kennen lernte. Doch behielt er einige Eckpunkte, wie die Freundschaft mit Serek, den Unfall mit der vergifteten Schwertspitze, als auch die Gefangenschaft bei den Orks, die Beziehung mit Tirafae und wie es dazu kam, für sich.

Erst als die Sonne schon einige Stunden untergegangen war, verabschiedeten sie sich und Endodren hatte seinen Sohn tatsächlich dazu gebracht, beinahe den halben Laib Brot, einen Apfel und etliches von dem Käse zu essen.