Frontenwechsel

Er saß gekrümmt auf dem Feldbett, die Handflächen nach oben gerichtet und immer wieder die frischen Brandwunden an ihnen und den Unterarmen betrachtend und die Hände langsam dabei immer wieder schließend und wieder öffnend. Den imposanten Kragen hatte er bereits zuvor abgelegt und auch die schwere schwarze Stoffrobe mit Leder- und Fellbesatz hat er sich herab gestreift. Strähnen der dunkelbraunen, fast schwarzen Haare hingen ihm vor dem Gesicht, über die Schultern und den Rücken. Seine eisblauen, grauen Augen starrten zwischen den Händen in die Leere. Immer langsamer wurde die Atmung, desto länger er so da saß und die Gedanken im Zickzack im Kopf umher sprangen.

“Warum hast du das getan? Du hättest nur die Briefe stehlen müssen. Nur ein paar Gespräche belauschen. Was hast du getan?”

“Ich weiß es nicht. Es war … er sah mich an … er wusste es … er wusste das ich nicht der bin, der ich vorgab zu sein … Ich musste etwas tun … Irgendwas … Ich brauchte diese Informationen … Anders hätte ich doch nicht … Ich~ “

“Du musstest es tun … Oder wolltest du es tun? Sie sind dir ähnlich … Sie sind stolz. Ihr Volk, ihre Familie ist ihnen am Wichtigsten. Sie gehen über Leichen dafür.”

“Es~ … Ich~ … Sie sind nicht … Ich bin NICHT~… “

Dann sackte sein Kopf einfach nach vorne, das Kinn auf die Brust, er schloss die Augen und atmete noch einige Male tief ein. Eine dieser Diskussionen die er seit dem gestrigen Tage immer wieder mit sich selbst führte. Sein Gewissen versucht die Oberhand zu gewinnen, sein Ehrgefühl sich einmischt und wie ein kleiner ertappter Schuljunge, die Reue versucht sich zu verteidigen. Er wusste es tatsächlich nicht, warum er es soweit kommen hat lassen. Irgendetwas in ihm hat ihm gesagt, dass es zu diesem Zeitpunkt das Richtige gewesen ist, doch umso länger er darüber nachdachte, desto mehr zweifelte er an dieser Entscheidung. Doch nun ist es zu spät.

 

 

Hinter den Bergen konnte man erst erahnen, dass die Sonne bald aufgehen würde, doch der Rohirr saß bereits am Ufer eines kleinen Sees, sein Rasiermesser in der Hand und überlegend. Immer wieder setzte er an und wollte sich eigentlich gänzlich von seinem Bart befreien. Es würde einfach besser in das Bild passen, welches er versuchen will darzustellen. Doch allein seine Größe und Statur würde ihn bereits als nicht Einheimischen verraten.

“Wenn ich schon ein Überläufer bin … dann mit Bart … “, und er klappt das Rasiermesser wieder zu, gefolgt von einem tiefen Durchatmen, sichtlich froh über diese Entscheidung. Über die Schulter des nackten Oberkörpers ein kleineres Leinentuch liegend, um sich abtrocknen zu können. Zu seiner Linken liegt ein kleiner Lederbeutel, halb offen und darin eine Menge schwarzes Pulver haltend, geriebene Kohle. Denn so sehr er sich auch wehrte, aber blond wie er ist, er würde zu sehr auffallen und seine Glaubwürdigkeit wäre bereits mit dem ersten Schritt gescheitert. Also blieb ihm nichts anderes über als sich genügend von dem Pulver in die Handflächen zu schütten und damit dann die Haare einzureiben, welche ohnehin von dem zuvor genommenen Bad noch nass sind. Durch die Feuchte der Haare blieb die Kohle auch ohne weitere Probleme haften und vermischte sich zu einem Sud, welcher die einst blonden Haare und den Bart in einem dunkelbraun, fast schwarz zurück ließ. Nur mit seiner Stimme musste er sich etwas überlegen, ohne auf die einzige, ihm bekannte Möglichkeit zurück zu greifen. Doch so wie es aussieht, blieb ihm auch nichts erspart, nein, er musste so oft wie möglich einen Kelch Rotwein und ein darin verrührtes rohes Ei, trinken. Nur dadurch würde seine Stimme etwas heller werden und er sich nicht sofort verraten. Ein kleiner zusammengefalteter Lederfetzen sorgte noch für die undeutliche Aussprache. Gekrönt wurde sein Erscheinen nur durch eine schwarze schwere Stoffrobe, mit Leder und Fellbesätzen, sowie seinem elbischen Dolch an der Hüfte. Er musste sich zwar hierfür noch eine Geschichte einfallen lassen, doch gänzlich unbewaffnet wollte er das Lager auch nicht betreten und sich schon gar nicht den dort lagernden Angmarin und Bergmenschen anschließen und einen Soldatendienst erweisen.

 

 

Er hatte sich Nächtens in das Zelt des Anführers geschlichen, ihn konfrontiert, ihn angegriffen, sich verteidigt und schlussendlich mit Hilfe des Feuers getötet. Wenn es ihm auch einen Preis kostete. Dieser Preis hielt sich zum Glück zwar in Grenzen, körperlich, doch das wahre Ausmaß seiner Handlungen sollte sich erst Stunde für Stunde langsam in sein Bewusstsein schleichen. Denn wenn auch nur eines bei den Angmarin geregelt war, dann war es die Handhabung der Anführer. Jeder, der den Vorsitzenden des Trupps herausfordert und besiegt, nimmt seinen Platz ein, solange er diesen verteidigen kann. Und so saß er nun, im Zelt des Anführers, seinem Zelt und wartete darauf, bis der Nächste aus der Ecke sprang und versuchte ihm einen Dolch ins Herz zu stoßen.