Versuch statt versprechen

17. Oktober


Mit einem herzhaften Gähnen schritt Eoddren aus der Türe seines Hauses und blinzelte der Sonne entgegen. Sein Tag der Abreise brach an und obwohl es für ihn gut war, wieder etwas raus zu kommen, so überkam ihm auch ein beklemmendes Gefühl. Abschiede fielen ihm seit eh und je schwer und doch musste er sich in seinem Leben einige Male verabschieden. Teilweise für immer, teilweise nur für einige Zeit und andere Male nur in Gedanken, beraubt der Möglichkeiten.

Es sollte ein ruhiger Tag werden, an welchem er seine Sachen packte, Schwert und Speer erneut nachschliff und in Bree einigen Besorgungen nachging. Bereits einige Stunden in Bree, trottete er quer über den Marktplatz und hatte für den heutigen Tag erst einmal genug gehört und gesehen. Es war nicht nur eine flüchtige Bekanntschaft, welche ihm ansprachen, ob es denn seinem Freund, dem Trobador, gut erginge. Und auch wenn er gerne eine andere Antwort gegeben hätte, so musste er wahrheitsgemäß sagen, dass er es nicht wusste. Doch musste er der schmachtenden Damenwelt nicht auf die Nase binden, dass er eigentlich gerade am Weg zu ihm war. Und zwar nicht in seine Siedlung, sondern ins Pony, bepackt mit frischen Sachen für ihn und einem Paket, welches er selbst zuvor erst abgeholt hatte.
Auch wenn sich auf dem Paket kein Absender befand und der herausgebende Vermögensbewahrer nicht sah, wer dieses Paket abgegeben hatte, so wusste er dennoch beim ersten Blick, dass es sich um Alanduriens Handschrift handelte. Eigentlich hatte Eoddren damit gerechnet, denn trotz aller Verweigerungen in den Jahren, schenkte die Elbe ihm Jahr für Jahr etwas zu seinem Geburtstag und dieser stand bekanntermaßen vor der Türe. Im Paket selbst befand sich noch ein weiteres kleines in Stoff gewickeltes Päkchen, auf welchem ein kleiner Zettel mit den Worten ‘Trobador’ angebracht wurde. Ein eiserner Griff legte sich ihm ums Herz und steckte wortlos das kleinere Päckchen wieder ein. Er würde nicht nachsehen was sich in ihm befindet, im Gegenteil er haderte sogar mit sich ob er es ihm geben sollte. Der Schmerz seines Freundes war noch viel zu frisch, doch eines konnte er zum Glück sagen, es war wohl nicht das ihr geschenkte Diadem. Denn dafür war das in Stoff gehüllte Paket zu klein und doch wäre es möglich. Würde sie es ihm wieder zurück geben? Für sich abschließen mit der gemeinsamen Zeit? Dies wäre unter Garantie der Zusammenbruch und Eoddren wusste nicht im Entferntesten wie er ihn davor beschützen sollte. Natürlich war Trobador ein gestandener Mann und musste mit derartigen Dingen alleine zurecht kommen, doch dennoch war ein Freund, vielleicht sogar ein guter mittlerweile. Es verband sie nicht nur die Leidenschaft zu ihrer jeweiligen Heimat, ihrer Berufung, ihrer Abstammung, nein, es waren oftmals kleinere Dinge. Viele Jahre ist es her, dass Eod sich jemanden in dieser Art und Weise anvertrauen konnte, mit ihm scherzen konnte und sich sogar auch gegenseitig die Nase brechen konnte, wenn es sein muss.

Am vorhergehenden Abend tat Eoddren etwas, dessen er eigentlich nie wieder gegenüber Trobador tun wollte und doch, sah er für den Moment keine andere Möglichkeit. Sein Freund hatte seit dem Abschied von Alandurien keine Minute mehr geschlafen und auch nichts gegessen und das sah man ihm an. Er litt und das auch noch mehr als ihm lieb war. Trotz mehrmaligem Zureden, Versuchen ihn zum Essen und Schlafen zu bewegen, zeigte alles keinen Erfolg. Der Rohirrim wusste nur zu gut wie sich sein Freund fühlte, die Leere, der Schmerz, die eigene Reue und dieser Hass teilweise auf sich selbst und alles unter der großen gesamten Frage ‘Warum?’. So kam es dazu, dass Eoddren doch noch einmal die Hand gegen seinen Freund erhob und ihn mit einen Kinnhaken des Ellbogens in das Land der Träume versetzte. Vermutlich würde er sich heute entsprechend beschweren wollen oder gar revanchieren, doch was auch immer es ihm kosten mag, es war gut so.

Stunden später, saß Eoddren Baragur im Zimmer des Trobadors, die Beine überkreuzt auf dem Bettende aufgelegt, lässig im Stuhl hängend und ging seinen Gedanken nach, während er wartete, dass dieser aufwacht. Frische Sachen, etwas zu Essen, lagen bereit und so vergingen die Zeit schleppend aber ruhevoll. Eod, seines Zeichens Rüstungsschmied, dachte über die vergangenen Tage nach seit seiner Rückkehr. Er sprach nicht gern über die Tage in denen er eigentlich nach Rohan reiten wollte, denn trotz der gut zu sprechenden Worte seiner Schwester, dem Brief seines Vaters, er brachte es nicht übers Herz über seinen Schatten zu springen und wieder einen Fuß in seine Heimat zu setzen. Sein Weg führte ihn bereits fern ab des Breelands, immer näher kommend die Pforte von Rohan und Schritt für Schritt wehrte sich alles in ihm umso stärker, bis er dann doch wieder umkehrte. Und nun sollte es so sein, dass er erneut aufbricht, doch dieses Mal mit einer Verabschiedung. Nicht lange, es sollte nur ein paar Wochen sein, wenn überhaupt, denn er hatte seine Hilfe in Schragen angeboten, einer kleinen Stadt an der Grenze des Breelandes und der Nordhöhen. Er brauchte die Abwechslung, er musste hinaus, raus auf das Schlachtfeld. Auch wenn ihm bewusst ist, dass dies stets bedeutet, dass er nicht wieder zurück kehren könnte, so liebte er es auf seine Art und Weise. Nur da fühlte er sich erneut wie der Eored – der Reiter – der er einst war, Kommandant eines kleinen Spähtrupps in West-Rohan.

Es war jene Rüstung, welche er auch am selben Abend, nach der Übergabe des Pakets an seinen Freund Trobador, trug und bereits zuvor Manyulana in seinen eigenen vier Wänden präsentierte, jene Rüstung, welche er als ausgebildeter Reiter erhielt. Maßgeschneidert auf den jeweiligen Träger, versehen mit dem Wappen der Eored und dem Lande Rohans. Schulterplatten, Bein- und Armschienen zeigten des Status des Kommandanten, mit Gold edel verzierte Anfertigungen und gleichzeitig beweglich und leicht zu tragen. Seit seiner Abreise trug er diese Rüstung nur noch sehr selten, bis er sie gänzlich ablegte und hoffte, dass damit auch seine Vergangenheit ihn nicht mehr einholen würde. Doch die Erinnerungen um die Jahreszeit holten ihn Jahr für Jahr ein, ließen ihn unruhig schlafen, bestimmten sein Handeln – nein – er würde auch dieses Jahr nicht über seinen Geburtstag reden und schon gar nicht feiern.
Seinen Rappen Farados bepackt, die Rüstung und Waffen angelegt, ritt er nach Bree gen Westtor um sich nun zu verabschieden. Auch wenn die Rüstung durch Leder und Stoff angenehm zu tragen war, so kam es ihm vor, als hätte er die Last seines ganzen Lebens auf den Schultern. Die Verantwortung des Kommandanten, die Schuld seiner Taten, den Verrat seiner Heimat, die Hilflosigkeit gegenüber seines alten Freundes Serek, dem andauernden Kampf um seine Familie. Er hatte sie wieder hergestellt, sämtliche Zeichen vergangener Schlachten ausgemerzt und dank Lana auch Stoff und Lederteile ersetzt, bis auf eine. Eine Kerbe in der Rüstung beließ er, als persönliches Mahnmal, eine Schwertklingen breite Kerbe in der Höhe seines rechten Schlüsselbeins. Es war jene Kerbe und darunter liegende Narbe, welche Serek zurück ließ. Sobald Eoddren die Rüstung anlegte, kehrten auch die Ausbildung, die Ernsthaftigkeit der Lage und seine Verantwortung zurück, als würde er einen inneren Schalter umlegen. Kein Lachen, keinen dummen Spruch auf den Lippen, keine Scherze und auch die eigentlich vorhandene Warmherzigkeit und Sanftheit seiner Züge verschwand. Lediglich seine Augen sprachen Bände, sie zeigten einen Anflug von Angst – Angst, was vor ihm liegt und ob er zurück kommen würde – ebenso Wärme und eine eigene Sanftheit spiegelten diese wieder. Es war die Mischung, welche ihm immer wieder mit dem Land selbst verglichen ließ. Sanft und zugleich rau, wie es auch der Sprache der Eorlingas nachgesagt wurde.

Der Abschied von seinen Freunden fiel kurz aus, vieles wurde nicht ausgesprochen und doch stand es zwischen den Dreien im Raum. War es die Angst vor einem endgültigen Abschied oder doch nur, weil es erst kürzlich erworbene Freunde waren? Er wusste es nicht, denn selbst er sprach einiges nicht aus, welches er gerne gesagt hätte, aber nicht konnte. Bei Einbruch der Dämmerung schwang er sich wieder auf sein Pferd, den Speer am Rücken, seinen Helm aufgesetzt, trieb er Farados langsam an und ritt gen Norden. Die rot goldene, untergehende Sonne tauchte die Felder des Breelands in ein herbstliches blutrotes Meer, die letzten Strahlen ließen seine Rüstung vereinzelt aufblitzen und doch blieb sein Kopf gen Norden gerichtet, kein Blick über die Schulter zurück zu seiner Wahlheimat und seinen Freunden. Eoddren schloß die Augen, atmete die frische Abendluft ein und versetzte Farados in einen gemütlichen Trab.
Manyulana als auch Trobador baten ihm darum heil wieder zu kommen, auf sich aufzupassen und wieder einmal konnte er es nicht versprechen. Er hatte es vor vielen Jahren bereits einmal versprochen, seiner Schwester gegenüber und hatte sein Versprechen bis heute gebrochen. Er kam nicht mehr nach Hause. Und so will und konnte er es nicht mehr, er will es versuchen doch nicht versprechen.